Wie wollen wir in Zukunft leben? Verdichtung durch Abriss, 2017

Verdichtung durch Abriss – wie wollen wir in Zukunft leben?

Ein Projekt von Anne Berlit

Die Urbanität in den Städten des Ruhrgebiets in besonderer Beobachtung, Wahrnehmung und künstlerischer Transformation.

Ausstellung am Weberplatz 1, Essen Innenstadt, vom 3. bis 15. Oktober 2017

Einführung: Dr. Gregor Jansen, Direktor Kunsthalle Düsseldorf

Anne Berlit,

Marita Bullmann, Brigitte Dümling, Benjamin Gages, Dirk Hupe, Ubbo Kügler, Thomas Reul, Dirk Schlichting und Peter Stohrer

Der Abriss geschichtsträchtiger repräsentativer Gebäude auf oftmals großflächigen, parkähnlichen Grundstücken, und darauf folgend die maximale Bebauung unter Ausnutzung aller freien räumlichen Kapazitäten hat in den letzten Jahren, insbesondere in den privilegierten Wohnvierteln des Ruhrgebietes, zugenommen. Zehn Stadtvillen in bevorzugter Lage inmitten großer parkähnlicher Grundstücke, die im Zuge von städtebaulicher Verdichtung zum Abriss freigegeben wurden, sind Ausgangspunkt dieser künstlerischen Auseinandersetzung.  Anne Berlit hat diesen Prozess insbesondere im Essener Süden photographisch begleitet. Dabei hat sich für die Künstlerin eine Reihe von wichtigen Fragen ergeben:

  • Wie wollen wir in Zukunft leben?
  • Verhindert diese Art der neuen Bebauung Segregation?
  • Welchen Dialog führt die neue Architektur, die sich oftmals an den Bauhaus-Gedanken anlehnen soll, mit dem Umfeld?
  • Wie können Spuren der alten Bebauung im Gedächtnis bleiben?
  • Wie ist es möglich, durch künstlerisch kreative Visualisierung und Transformation eine kritische Auseinandersetzung über dieses Thema mit den Stadtbewohnern in Gang zu setzen?

So ist die Idee entstanden, in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, die ebenfalls ortsbezogen arbeiten, eine Ausstellung in einem solchen Gebäude kurz vor dessen Abriss zu realisieren. Ziel war es, ein künstlerisches Zeichen zu setzen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

In der Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern Marita Bullmann, Brigitte Dümling, Benjamin Gages, Dirk Hupe, Ubbo Kügler, Thomas Reul, Dirk Schlichting und Peter Stohrer entwickelte sich im Laufe der Monate ein Konzept, das schließlich im ehemaligen Haus der Begegnung am Weberplatz 1 in Essen in einer gemeinsamen Ausstellung realisiert werden konnte. Dieses Gebäude, wurde als Jesidenheim 1913 gebaut und im Laufe der Jahre sehr unterschiedlich genutzt. Dass das Gebäude noch so steht, hat es dem Denkmalschutz der Fassade zu verdanken. Bislang ist die weitere Nutzung nicht geklärt.

Warum gerade hier? Trotz intensivster Suche und Recherche war es nicht möglich die Ausstellung in einer „Abrissvilla“, die um ca. 1900 gebaut wurde, für eine letzte Würdigung des Gebäudes zu realisieren. Sowohl die Besitzer/Verkäufer als auch die Investoren fürchteten die mögliche kritische Öffentlichkeit einer solchen Aktion und waren nicht bereit ihr Gebäude einem Kunstprojekt zur Verfügung zu stellen. Ein klares Zeichen dafür, dass der merkantile Aspekt  einer solchen künstlerischen auch kritischen Auseinandersetzung im Wege stehen kann.

Die Ausstellung „Verdichtung durch Abriss“ setzt mit der Erarbeitung von raumgreifenden Installationen, Zeichnungen, Fotographien und Objekten wichtige Zeichen und gibt Denkanstöße, die eine kritische Auseinandersetzung ermöglichen und kreative Denkprozesse in Gang setzen sollen.

Am Weberplatz 1 ist eine Ausstellung entstanden, die sowohl die bereits abgerissenen Villen würdigt als auch Spuren der Geschichte und der unterschiedlichen Nutzung des Ausstellungsgebäudes aufzeigt.

Herzlichen Dank an die Immobilienverwaltung der Stadt Essen und insbesondere dem Bereich „Grüne Hauptstadt“, die das Gebäude für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Die Ausstellung wurde ermöglicht durch IKF, individuelle Künstlerförderung der Bezirksregierung NRW, ecce, European center of creative economy.

Fließband, meine individuelle Arbeit für das Projekt „Verdichtung durch Abriss“

16 Stadtvillen habe ich im Lauf meiner Recherche für „Verdichtung durch Abriss“ begleitet.  Die meisten Gebäude habe ich nur von außen kennen gelernt, sie photographisch festgehalten, mit den Besitzern gesprochen, mit den Investoren verhandelt. Niemand wollte mir eines der Gebäude vor dem Abriss für die geplante Ausstellung zur Verfügung stellen.

Mir ist daraufhin die Idee gekommen, die Gebäude selbst zum Thema der Auseinandersetzung zu machen. Auf 80 x 80 cm große Glasplatten habe ich Zeichnungen angefertigt, Abbildungen eines jeden Gebäudes auf jeweils eine Glasplatte. Ich habe zwei Fließbänder gebaut und meine Zeichnungen auf diese Fließbänder gestellt. Die Besucher der Ausstellung können entscheiden, ob sie den Drehhebel betätigen und die Glasplatten mit den Zeichnungen zum Absturz bringen.

Interessant ist es für mich zu erleben, wie groß der Reiz mancher Besucher ist, etwas zerstören zu dürfen. Oft wird das Fließband in Bewegung gesetzt, wenn kein anderer Besucher oder ich selbst im Raum bin. Die Täter sind gerne mit sich allein bei der Tat. Die Glasplatten mit den Zeichnungen der Abrisshäuser fallen und zersplittern auf dem Boden. In Addition ergibt das eine neue Zeichnung die man nicht mehr festhalten kann. Was bleibt sind fotografische Abbildungen, die Erinnerung und natürlich das Fließband.

Anne Berlit lotet in Ihrer künstlerischen Auseinandersetzung die Gegebenheiten von Räumen und Orten sensibel aus, dabei stellt sie Fragen nach Möglichkeiten der räumlichen Präsenz. Ihre Arbeiten haben oft interaktiven Charakter, sie spielen mit Licht und Schatten und ermöglichen dem Zuschauer einen individuellen Zugang. Ihre Installationen beziehen sich auf den Raum oder die Geschichte des Ortes: Arbeiten wie „Nostalgia“ in der Kunstkirche Christ König, Bochum, die Flaschenpost, bei der 200 wichtige Nachrichten an die Welt verschickt wurden, sowie „Perpendicular“ in Krakau sind Beispiele dieser Auseinandersetzung. In den vergangenen Jahren realisierte sie verschiedene Kunst am Bau Aufträge.

Fotos: Anne Berlit, Hanne Brandt

2 Fließbänder von jeweils 3 m und 2 m Länge, 16 Zeichnungen der Abrisshäuser auf Glasplatten von jeweils 60 x 60 cm.

Fototapeten mit den Interieurs und Fotos der Abrisshäuser, Wandaufschriften und Kommentare der Besucher